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„Ein ganz neues Ökosystem dürfte entstehen”
Cyrille Sautereau, Präsident des Forum National de la Facture Electronique et des Marchés Publics Electroniques (FNFE-MPE), im Interview
Herr Sautereau, Sie sind seit vielen Jahren Präsident des Forum National de la Facture Electronique et des Marchés Publics Electroniques (FNFE-MPE), des nationalen Forums für E-Rechnung und elektronische Märkte der öffentlichen Hand. Welche Entwicklungen haben Sie in den letzten Jahren beobachtet?
Cyrille Sautereau: Der FNFE-MPE wurde 2016 offiziell als Verband von etwa 30 Mitgliedern gegründet. Sie gingen aus einer Gruppe von Fachleuten in Frankreich hervor, die sich bereits mehrere Jahre für die Förderung des Konzepts der elektronischen Rechnung eingesetzt hatten. Ich war von Anfang an ihr Präsident, wir haben jetzt über 135 Mitglieder. Unser besonderes Augenmerk gilt der Standardisierung und der Einführung der elektronischen Rechnungsstellung im Zusammenhang mit der europäischen Richtlinie 2014/55/EU, die sich 2017 in der europäischen Norm EN16931 manifestierte und in der Verpflichtung zum Empfang und zur Verarbeitung normkonformer elektronischer Rechnungen durch öffentliche Einrichtungen mündete. Sie wurde durch die Verpflichtung zum Versand elektronischer Rechnungen an den öffentlichen Sektor erweitert mit dem Ziel, im Jahr 2020 100 Prozent der B2G-Rechnungen elektronisch abzuwickeln. Wir arbeiten aktuell eng mit allen Beteiligten an der Umsetzung des Mandats für die elektronische Rechnungsstellung im B2B-Bereich und der Reform des elektronischen Berichtswesens für 2024.
Von Anfang an haben wir eng mit unseren deutschen Partnern, dem Forum elektronische Rechnung Deutschland (FeRD), zusammengearbeitet; inzwischen haben wir auch enge Verbindungen zu weiteren entsprechenden europäischen Verbänden und Interessengruppen aufgebaut.
Welche Rolle spielte der FNFE-MPE bei der Einführung der verpflichtenden E-Rechnung für B2G in Frankreich und im Hinblick auf den Betrieb des Portals Chorus-Pro. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Wir haben die Entwicklung des französischen nationalen Portals für den öffentlichen Sektor Chorus Pro aktiv unterstützt und waren und sind an seiner normativen Ausprägung beteiligt. Wir haben uns insbesondere auf die Entwicklung eines geeigneten Formats für KMU konzentriert, das einerseits dem EU-Standard entsprechen und andererseits in Frankreich wie in Deutschland gleichwertig sein sollte. In diesem Kontext haben wir vor einigen Jahren eine Absichtserklärung mit der FeRD unterzeichnet und arbeiten seitdem gemeinsam an der Entwicklung des Hybridformats Factur-X, in Deutschland besser bekannt als ZUGFeRD 2.2.
Welche Möglichkeiten hat man, eine Rechnung über Chorus Pro einzureichen? Verfügen Sie über statistische Daten, und wie beliebt ist Factur-X im Vergleich zu UBL, CII, EDI oder API?
Chorus Pro ist die zentrale Plattform für die Übermittlung elektronischer Rechnungen an öffentliche Verwaltungen in Frankreich. Es stehen drei Arten der Übermittlung zur Auswahl: per EDI, API oder über eine Web-Schnittstelle. Die Rechnungen können in einem der folgenden Formate erstellt werden: UBL (mit oder ohne PDF), das nicht mit der EN 16931 konform ist, da es vor der Veröffentlichung der Norm definiert wurde; UN/CEFACT bzw. CII und Factur-X, die beide der Norm entsprechen. Es ist auch möglich, mittels eines geeigneten OCR-Service Partners eine PDF-Rechnung hochzuladen, die dann manuell vervollständigt und durch den Lieferanten validiert werden muss. Auch auf diese Weise entsteht ein Hybridformat.
Was die Statistik angeht, so sehen wir, dass heute 35 Prozent der eingereichten Rechnungen in einem vollständig strukturierten Format übermittelt werden. Die überwiegende Mehrheit jedoch bilden hybride Dokumente, d. h. PDF mit einem eingebetteten strukturierten Datensatz bzw. Teil-UBL mit einem eingebetteten PDF. Wurden vom Start von Chorus Pro im Jahr 2017 bis 2021 insgesamt etwa 200 Millionen Rechnungen elektronisch verarbeitet, so sehen wir inzwischen einen deutlichen Anstieg auf durchschnittlich 80 Millionen E-Rechnungen pro Jahr.
In Deutschland haben wir einen CIUS namens „XRechnung”. Sind die Empfehlungen in Frankreich nicht so streng?
Es gibt einige spezifische Geschäftsregeln, die in der technischen Dokumentation von Chorus Pro definiert sind. Einige dieser Regeln kann man als CIUS bezeichnen, andere sind eher als Erweiterung anzusehen. Sie sind jedoch nicht so streng formalisiert, da das Projekt Chorus Pro bereits 2014 ins Leben gerufen wurde, noch bevor die EN16931 veröffentlicht wurde. Die Spezifikation umfasst auch Lebenszyklusstatus und spezifische Anforderungen, insbesondere in Bezug auf Lieferleistungen im Baugewerbesektor.
Wie war oder ist die Situation bezüglich des elektronischen Systems für die MwSt-Erklärung in Frankreich?
In Frankreich ist es seit einigen Jahren üblich, die MwSt-Erklärungen elektronisch einzureichen. Sie können entweder ein Web-Portal oder einen Wirtschaftsprüfer nutzen, um die Steuerdaten elektronisch zu übermitteln. Die darauf spezialisierte Website „Jedeclare.com” beispielsweise ist seit 2000 in Betrieb.
Wann ist die Einführung der elektronischen Rechnung für B2B geplant, und in welchen Schritten? Wer ist daran beteiligt und in welcher Eigenschaft?
Ab dem 1. Juli 2024 müssen alle Unternehmen in der Lage sein, elektronische Rechnungen in den drei EN16931-konformen Formaten UBL, CII oder Factur-X empfangen zu können. Die verbindliche Erstellung von Rechnungen in einem dieser Formate wird schrittweise eingeführt, beginnend mit großen Unternehmen bis Juli 2024, gefolgt von mittleren Unternehmen bis Januar 2025 und abschließend von kleinen Unternehmen bis Januar 2026.
Es wurde bereits eine nationale Plattform eingerichtet, auf der die für die Steuerverwaltung erforderlichen Rechnungsdaten (die Pflichtfelder) gesammelt werden. Ausschließlich diese nationale Plattform (PPF) sowie zertifizierte private Plattformen (PDP) werden autorisiert sein, im Auftrag der Unternehmen inländische elektronische Rechnungen auszutauschen. Sie werden kontinuierliche Transaktionskontrollen gewährleisten und die erforderlichen Rechnungsdaten für die Steuerverwaltung bereitstellen. Jedes Unternehmen wird eine PDP oder das PPF für den Empfang und Versand seiner inländischen Rechnungen wählen müssen. Darüber hinaus müssen die Unternehmen auch Informationen zu B2C- und internationale B2B-Verkäufe sowie für internationale B2B-Einkäufe in Echtzeit melden.
Wird dann jedes Unternehmen verpflichtet sein, über die notwendige IT und einen Internetzugang zu verfügen? Wie werden kleine Unternehmen dazu motiviert, Rechnungen elektronisch zu versenden und zu empfangen?
Ja, der Einsatz von IT wird unumgänglich sein, jedes Unternehmen wird sich an der digitalen Transformation beteiligen müssen. Dies eröffnet auch interessante Möglichkeiten für neue Geschäftsideen und dürfte auch neue Arbeitsplätze schaffen. Dadurch dürfte ein ganz neues Ökosystem entstehen. Für KMU werden Steuerberater, Banken, Dienstleister auf dem Gebiet der E-Rechnung oder auch neue Akteure wie Fintechs sicherlich eine besondere Rolle spielen, um ihnen den Einstieg in die Reform zu erleichtern.
Sind Sie der Meinung, dass die E-Rechnung in ganz Europa obligatorisch sein sollte?
Ja, es ist sinnvoll, von Unternehmen zu erwarten, ihre Rechnungen im EU-Raum elektronisch auszutauschen. Bis dahin wird es natürlich Zeit brauchen. Schließlich hat es rund 30 Jahre gedauert, elektronische Geschäftsdaten auf den Stand hin zu entwickeln, den sie jetzt erreicht haben. Ohne entsprechenden Druck wird die Verpflichtung zur 100-prozentigen elektronischen Rechnungsstellung allerdings wohl kaum erreichbar sein. Deshalb muss sie verbindlich vorgeschrieben werden.
Welche Erkenntnisse haben Sie bei der Vorbereitung und Umsetzung der obligatorischen elektronischen Rechnung gewonnen? Gibt es etwas, das Sie beim nächsten Mal anders machen würden?
Ich kann Ihnen versichern, dass es kein nächstes Mal geben wird. Wir sind sehr zufrieden mit der gegenseitigen Unterstützung und der transparenten Zusammenarbeit mit der französischen Finanzverwaltung. Allerdings haben wir festgestellt, dass die Rechnungsstellung ein komplexer Prozess ist, viel komplexer, als wir es uns anfangs vorgestellt hatten. Diese Reform ist übrigens auch eine gute Gelegenheit, die Geschäftsprozesse im Rechnungswesen zu vereinheitlichen.
Herr Sautereau, wir bedanken uns für dieses Interview.
Das Interview wurde geführt und aus dem Französischen übersetzt von Dominique Corazolla (Symtrax S.A.), ehrenamtlich Mitarbeitender im FeRD-Competence Center 3 „Standards, Formate & Integration”.
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